Aktualisiert am 13-03-24 durch Lukas Rieder Dr. oec.
Die Vollkosten eines Produkts sind immer falsch!
Ein Ingenieur und Vorstand wollte uns beauftragen, eine Kostenrechnung zu entwickeln, welche pro Produkt (Artikelnummer) die Vollkosten und den Gewinn vor Abzug von Zinsen und Steuern ausweist (EBIT). Dazu ist die artikelweise Berechnung der vollen Herstellkosten und der Selbstkosten erforderlich (Nettoerlös – Selbstkosten = EBIT).
Wir haben diesen Auftrag nicht angenommen!
Obwohl es längst wissenschaftlich bewiesen und empirisch belegt ist, dass Vollkosten (volle Herstellkosten oder Selbstkosten) nicht zu entscheidungsrelevanten Erkenntnissen führen können, wird immer wieder versucht, die Vollkosten pro Produkteinheit zu berechnen. Die Methodik des „Betriebsabrechnungsbogens“ wird noch an sehr vielen Schulen gelehrt und leider auch in der Praxis noch zu oft angewendet.
Beispiel Handelsbetrieb
Schon in einem einfachen Handelsunternehmen welches nur ein einziges Produkt verkauft, ist nachvollziehbar, dass Vollkosten nicht belastbare Werte sind:
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- Der Einstandspreis pro Stück wird mit dem Lieferanten vereinbart. Er kann eindeutig der verkauften Einheit zugeordnet werden.
- Die Beschaffungskosten (Verpackung, Fracht, Versicherung) sind von der Bestellmenge abhängig. Sie werden durch die Bestellung (Entscheidung) verursacht, nicht durch das einzelne Stück.
- Die Kosten der Einkaufsabteilung (Personal- und Sachkosten) werden durch die Grösse der Abteilung bestimmt (Entscheidung) und nur indirekt durch die eingekaufte Menge.
- Werbe- und Verkaufsförderungskosten sind die Folge von Entscheidungen über Verkaufsmassnahmen. Diese Kosten werden zudem entschieden, bevor verkauft wird. Sind sie nun zur geplanten oder zur wirklich verkauften Menge in Beziehung zu setzen?
- Sinngemäss gilt dies auch für die Kosten der Infrastruktur und der Unternehmensleitung.
Das Zahlenbeispiel zeigt, wie sich die Stück-Vollkosten verändern, wenn in Plan und Ist unterschiedliche Mengen oder andere Strukturkosten vorkommen.
Obwohl die direkt durch das verkaufte Produkt verursachten Kosten pro Stück immer gleich sind (proportionale Kosten), ergeben sich in jeder dargestellten Situation andere Vollkosten (volle Herstellkosten oder Selbstkosten) pro Stück. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die durch Managemententscheid festgelegten Strukturkosten (Fixkosten) mit der Schlüsselgrösse «Absatzmenge» auf die Produkteinheit umgelegt wurden.
Erweiterung für den Produktionsbetrieb
Wird das Beispiel für ein Unternehmen mit mehreren Produkten und evtl. auch Halbfabrikaten erweitert, sind zusätzliche Schlüsselgrössen einzusetzen. Denn die ans Lager gelieferten Teile müssen anteilig die Fixkosten der Beschaffung und der Leistungsbereitschaft der Produktion tragen (volle Herstellkosten). Auf die verkauften Einheiten müssen die Fixkosten von Verkauf und Marketing, sowie von den verbleibenden internen Funktionen und der Gesamtleitung umgelegt werden, um die Selbstkosten pro Einheit zu berechnen. Mit welchen Schlüsselgrössen diese Umlagen auch immer bewerkstelligt werden, ist folglich immer falsch. Denn alle Fixkosten werden durch Managemententscheidungen freigegeben (Budget) und sind auch im Ist nur indirekt von den hergestellten oder verkauften Einheiten abhängig.
Nur die durch die eigentliche Herstellung einer Produkteinheit verursachten Kosten können eindeutig einer Produkteinheit zugeordnet werden. Dahinter stehen Verbräuche von Rohmaterial, Fremdleistungen, Halbfabrikaten und eigenen Fertigungsleistungen. Diese werden durch Stücklisten, Arbeitspläne und Rezepte, also technische Ursache-Wirkungsketten bestimmt. Das sind die proportionalen (Plan-)Herstellkosten. Zwischen den erwähnten Fixkosten der Supportfunktionen und den hergestellten oder abgesetzten Einheiten besteht nie ein direkter Verursachungszusammenhang.
Auf den Punkt gebracht:
Einen zweifelsfreien Gewinn pro Stück vor Abzug von Steuern und Zinsen (EBIT) gibt es nicht, weil zu seiner Berechnung zur nicht verursachungsgerechten Umlage von Fixkosten gegriffen werden muss.
«Möglichst verursachungsgerecht» gibt es ebenso wenig, weil mangels direkter Ursache-Wirkungskette trotzdem zu einem Umlageschlüssel gegriffen werden muss.
Diese Erkenntnis gilt es bei der Gestaltung des entscheidungsrelevanten Management Accountings zu beachten. Denn Führungskräfte argumentieren richtigerweise, dass sie nur für Kostenelemente verantwortlich sein können, deren Höhe sie direkt selbst beeinflussen können.